Gegenbuchmesse in der Krebsmühle

Schon 1977 hatte sich die Arbeitsgemeinschaft alternativer Verlage und Autoren (AGAV) entschlossen, die Frankfurter Buchmesse zu verlassen und eine alternative ‚Gegenbuchmesse‘ zu veranstalten, um in der Masse der Großverlage und Neuerscheinungen nicht unterzugehen. Das Motto: »Jedes Jahr wird auf der Frankfurter Buchmesse tonnenweise frisch bedrucktes Papier präsentiert. Wir wollen linken AutorInnen und Verlagen ein Forum für kritische Gedanken bieten.«

Peter beim Shuttledienst Buchmesse – Krebsmühle.

Die Gegenbuchmesse hatte nun bereits vier mal stattgefunden und war mit jedem Jahr weiter gewachsen. 1981 fanden die Initiatoren der AGAV in Frankfurt keine geeigneten Räumlichkeiten und kamen auf uns zu, um zu eruieren, ob die Krebsmühle für die Ausrichtung geeignet sei. Eine Woche lang hunderte von Ausstellern und 10.000 zu erwartende Besucher – das war doch eine echte Herausforderung! Ende Mai 1981 hatten wir drei Stockwerke der Mühle ausgebaut und konnten zusätzlich einen Teil unserer Ladenräume zur Verfügung stellen. Zusätzlich sagten wir zu, bis zum Herbst ein weiteres Mühlenstockwerk auszubauen und während der Messe einen Shuttle-Busverkehr von der Buchmesse zur Krebsmühle einzurichten. Damit war klar: die 5. Gegenbuchmesse wird in der Krebsmühle stattfinden.

Ein großes Projekt bietet große Möglichkeiten

Besucherandrang bei der Gegenbuchmesse

Damit hatten wir uns zwar eine Menge (Ausbau-)Stress aufgeladen, konnten andererseits aber erstmals zeigen, welchen Sinn es für die linke Szene macht, wenn ihr auch für Großveranstaltungen Räume ‚in eigener Regie‘ zur Verfügung stehen. Den Vorwurf des ‚Größenwahns‘ bei der Übernahme der Krebsmühle aus diesen Kreisen hatten wir nicht vergessen.

Gerade rechtzeitig schafften wir den notwendigen Ausbau eines zusätzlichen Mühlenstockwerks und der Treppe dorthin. Für letztere lieferte die Handwerkergenossenschaft Mannheim das Treppengeländer, das am Abend vor der Eröffnung, buchstäblich in letzter Minute, fertig wurde.

Es zeigte sich, dass Befürchtungen der AGAV, die Krebsmühle sei vielleicht doch ‚zu weit draußen‘, unbegründet waren. Der Besucherstrom übertraf die Erwartungen deutlich. Und unser Café-Team konnte beweisen, dass es auch einer solchen Herausforderung gewachsen war – Besucher wie Aussteller fühlten sich gut versorgt.

Publicity für die Krebsmühle –
Öffentlichkeit für die Selbstverwaltung

Natürlich war uns klar, dass dieses Großereignis mit der damit verbundenen Presse-Berichterstattung einen gewaltigen Schub für die Bekanntheit der Krebsmühle bewirken würde, und natürlich war uns das mehr als lieb. Mindestens genauso wichtig war uns aber, das Ereignis für die weitere Vernetzung selbstverwalteter Projekte zu nutzen. 10.000 Besucher und garantierte Presse-Öffentlichkeit – das sollte doch zu einem Forum der Selbstverwaltungsbewegung zu nutzen sein! So entstand schon im Vorfeld – im Mai 81 – die Idee, die Gegenbuchmesse mit einer ‚Projektemesse‘ zu verbinden.

Die erste ‚Projektemesse‘

Da unser Zeitschriftenprojekt BASIS zu Beginn des Jahres 1981 aus Überlastungsgründen aufgegeben worden war, waren wir zur Mobilisierung für die Projektemesse auf die schon bestehenden direkten Kontakte angewiesen. Es reichte für diese erste Projektemesse daher nur für 12 Gruppen, die zur Selbstdarstellung und zur Diskussion anreisten. Besonders wichtig war dabei der kurz vorher anlässlich einer Erkundungsreise in Westberlin entstandene Kontakt zur ufaFabrik, einem Berliner Großprojekt mit fast 60 Gruppenmitgliedern. Der Grund dafür war, dass die ufaFabrik sich nicht nur intensiv in die Diskussion einbringen konnte, sondern auch ihr Zirkuszelt mitbrachte, in dem sich die Projekte präsentieren konnten.

Das Interesse des Buchmesse-Publikums an den doch sehr ‚alternativ‘ auftretenden Projekten war noch eher amüsiert als ernsthaft. Und für die von uns angedachten Diskussionen (Erarbeitung gemeinsamer politischer Vorgehensweisen und Zielen) erwiesen sich die anwesenden Projekte als zu heterogen. Die Bandbreite reichte von ’nur‘ Lebensgemeinschaften (Kommunen) über Lebens- und Arbeitsgemeinschaften in Selbstverwaltung bis hin zu Projekten mit rein betrieblicher Selbstverwaltung (ohne Lebenszusammenhang) – alle mit unterschiedlichen Problemen ud Diskussionswünschen.

Die ‚Betriebszeitung in der TAZ‘ entsteht

Aber es reichte nicht nur zum gegenseitigen Interesse, zur Selbstbestätigung und dazu, sich gegenseitig Mut zu machen. Ein konkretes Bedürfnis für alle war, breitestmöglich und dauerhaft Öffentlichkeit zu schaffen. Vielleicht könnten wir dazu ein schon vorhandenes Medium benutzen? Dafür könnte sich die ja noch junge und ebenfalls kollektiv geführte TAZ (‚Die Tageszeitung‘) möglicherweise gewinnen lassen.

So wurden die Berliner (wegen der räumlichen und auch persönlichen Nähe) beauftragt, mit der TAZ-Belegschaft über eine regelmäßig erscheinende Beilage zu verhandeln, deren Druckkosten die Kollektive gemeinsam übernehmen würden. Die Idee fand Zustimmung: Im April 1982 erschien die erste Beilage als ‚Betriebszeitung in der TAZ‘ mit der Ankündigung, zukünftig an jedem 1. Donnerstag des Monats zu erscheinen.

Monatliche Redaktionstreffen

Das war natürlich genial. Bisher hatten wir uns alleine (WWA) bzw. mit sehr begrenzter Kapazität (BASIS) um die Inhalte, die Gestaltung, den Druck und den Vertrieb kümmern müssen. Zukünftig übernahmen die Frauen aus der ufaFabrik die Gestaltung (den Satz der Betriebszeitung in der TAZ-Redaktion), Druck und Vertrieb waren über die TAZ geregelt, die Reichweite ging weit über die Selbstverwaltungsszene hinaus und die Inhalte wurden von 12 Kollektiven geliefert.

Und noch genialer: Um die Betriebszeitungsbeilage monatlich zu erstellen, bedurfte es monatlicher Redaktionstreffen, bei denen die kommenden Inhalte diskutiert und festgelegt und die Arbeit des Textens auf die Kollektive verteilt wurden. Aus dieser regelmäßigen Diskussion ergab sich zwangsläufig ein intensiveres Kennenlernen und Verständnis unter den beteiligten Gruppen – der bisher beste und nachhaltigste Vernetzungsansatz.

Sigrid Niemer, Mitbegründerin der ufaFabrik und bei der Betriebszeitung von Anfang an dabei, hat zu diesem Thema anlässlich des 40jährigen Jubiläums der TAZ den sehr lesenswerten Artikel ‚Feldversuch am eigenen Leben‘ geschrieben.

Projektemesse 1982

Auch 1982 segelten wir mit der Projektemesse im Windschatten der Gegenbuchmesse, die erneut in der Krebsmühle stattfand. Wieder konnten wir von der durch sie erzeugten öffentlichen Beachtung profitieren.
Mit dem Unterschied, dass diesmal die Hessenschau einen 5-Minuten-Beitrag eigens zur Projektemesse brachte. Der Sprechertext: „Aus der ganzen Bundesrepublik sind selbstverwaltete Betriebe zusammengekommen, Betriebe ohne Chef, ohne Hierarchie und ohne Druck von oben.
Sie wollen zeigen, dass sie trotz aller Unkenrufe nicht untergegangen sind, im Gegenteil, dass sie sich schon fast etabliert haben. Eine etablierte Alternative auf dem Weg zu einem neuen, einem eigenen Wirtschaftszweig“.
Hat uns gefallen, ohne Frage, genauso wie das im Hintergrund deutlich sichtbare Plakat ‚Leben und Arbeit selbstgestalten‘.

Tatsächlich gekommen waren diesmal 20 Gruppen – die Vernetzung kam voran. Für mehr Gruppen hätten wir auch nicht genügend Platz gehabt, weil ja die verfügbaren Räume von der Gegenbuchmesse beschlagnahmt waren und uns für die Projektedarstellung wie im letzten Jahr wieder nur das Zelt der ufaFabrik blieb.

Diese hatte diesmal ihr brandneues großes Zirkuszelt mitgebracht, und in diesem gab es – neben diversen Diskussionen – ein attraktives Kulturprogramm mit den 3 Tornados, Familie Schmidt, den Frankfurter Spielfrauen – große und zugkräftige Namen damals in der Szene.

Kein Wunder also, dass wir – auch jenseits des Gegenbuchmessepublikums – regen Zulauf hatten und die Projektemesse von allen als Erfolg gefeiert wurde. Es bedurfte keiner größeren Überzeugungsarbeit für die Entscheidung, die Tradition der Projektemessen auch im kommenden Jahr fortzusetzen.

Projektemesse 1983 – Aufbruchstimmung

1983 wagten wir den großen Schritt – eine Messe selbstverwalteter Betriebe ohne ‚Rückendeckung‘ durch die Gegenbuchmesse. ‚Nur‘ mit der Darstellung und den Diskussionen rund um die Selbstverwaltung genügend öffentliches Interesse zu wecken, überhaupt auch genügend Projekte zur Teilnahme zu bewegen, um die Messe interessant zu gestalten – könnte das gelingen?

Dass es nicht nur gelang, sondern ein gewaltiger Erfolg wurde, war einerseits Ergebnis der Vernetzungsarbeit der letzten Jahre und lag zweitens daran, dass diesmal die gesamte Infrastruktur der Krebsmühle mit ihren 4 Mühlenstockwerken zusätzlich zum Veranstaltungszelt der ufaFabrik und dem Ausstellungszelt für Ausstellung und Diskussionen zur Verfügung stand.

Die Vorbereitung der Messe war Dauerthema in der ‚Betriebszeitung’sbeilage der TAZ, fand Beachtung im ‚Netzwerk Selbsthilfe‘ und führte erstmals zu einer Verständigung zwischen der ASH-‚Fraktion‘ und der ‚Sponti’fraktion der Betriebe in Frankfurt: gemeinsam wurde die Messe vorbereitet.

Ingenieurkollektive

Besonders attraktiv für Besucher und Presse war diesmal das breite Feld von Ingenieurkollektiven, die ihre Entwicklungen in den Bereichen Solar- und Windenergie, Energieeinsparung, Biogaserzeugung, Wärmekraft-Kopplungen (BHKW) und Wärmedämmung im ‚Energiezelt‘ und im Außengelände vorstellten. Der Hessische Rundfunk hat einen 45-Minuten-Filmbeitrag zu dieser Messe gemacht, aus dem wir einige Bilder entnehmen.

Windräder erreichen heute riesige Höhen und werden zu gigantischen Windparks zusammengefasst, Biogas wird längst im großen Maßstab gewonnen und Wärmekraftkopplungen (BHKWs) sind verbreitete Alltagstechnik. Man mag diese Ausstellung daher belächeln. 1983 steckte dies alles aber noch in den Anfängen und wurde kaum ernst genommen. So zeigen die Bilder auch heute noch, wie sehr Ingenieur-Kollektive aus der Selbstverwaltungsbewegung als Pioniere an dieser Entwicklung initiativ beteiligt waren.

Handwerker-Kooperation

Ein besonders schönes Beispiel für hochwertige handwerkliche Arbeit und Kooperation lieferten die Frankfurter holzverarbeitenden Selbstverwaltungskollektive in Zusammenarbeit mit Axt+Kelle und der ASH: Während der Messe entstand ‚aus dem Nichts‘ und zur Bewunderung der Gäste ein Kinderspielhaus, an dem solide Handwerkstechnik vorgeführt wurde.

Eine Messe in Selbstverwaltung …

Plenare Diskussion im Veranstaltungszelt

Dies sollte keine Messe ‚der ASH‘ mit mehr oder weniger passiven Teilnehmern werden, sondern eine selbstverwaltete Messe, getragen von den ausstellenden Kollektiven. Deshalb wurde schon am Abend des Anreisetages das Organisationsplenum eingerichtet: Vertreter der angereisten Kollektive trafen sich ab 11 Uhr abends, diskutierten 2 Stunden lang die organisatorischen Notwendigkeiten für den nächsten Tag (z.B. Essensversorgung, Parkplatzdienste, notwendige Einkäufe etc.) und teilten die anstehenden Arbeiten unter sich auf.

Inhaltlich wurde in Arbeitsgruppen (AGs) und auch plenar im großen Veranstaltungszelt diskutiert. Die plenaren Diskussionen beschäftigten sich mit Themen wie  ‚Hierarchie in selbstverwalteten Betrieben‘ oder ‚Konkurrenz untereinander und zu Normalbetrieben‘. In den AGs wurden die Dauerbrenner der Bewegung (Finanzierungsprobleme und deren Lösung, Öffentlichkeitsarbeit, Entwicklung gemeinsamer Strukturen) besprochen.

… mit großem Kulturprogramm

Das ‚Frankfurter Kurorchester‘ und das ‚vorläufige Frankfurter Fronttheater‘ mit dem großen Kabarettisten Matthias Beltz waren damals Show-acts mit garantiert ausverkauftem Haus. Dazu ‚Geyer Sturzflug‘ und der ufaFabrik-Zirkus – das Zelt tobte. Entspannter ging es zu bei den ‚Kölner Straßenmusikanten‘ unter freiem Himmel im Garten des ASH-Cafés und im Café selbst.

Ein euphorisches Erlebnis …

Die Projektemesse 1983 mit ihren 200 Kollektivisten aus 50 Betrieben war ein überwältigendes Ereignis. Sie erzeugte eine echte Aufbruchstimmung und nährte die Überzeugung, dass wir mit unseren Ideen und Experimenten ganz nah dran waren am Puls der Zeit. Wir hatten jetzt die öffentliche Aufmerksamkeit, um ernstzumachen mit unserem (jetzt kollektiven) Anspruch zur Veränderung der Gesellschaft. Wir würden mehr werden und uns weiter vernetzen. Gemeinsam würden wir noch stärker werden!

… auch für die ‚Macher‘

Natürlich war das Ganze ein Riesenstress für die, die das Messegeschehen organisatorisch am Laufen gehalten hatten. Aber wie es Hans Mönninghoff vom Energie- und Umweltzentrum Eldagsen im Interview ausdrückte: ‚Der Tag war voll. Den ganzen Tag, von 10 Uhr bis 8 Uhr, mit Besuchern und Ausstellern reden, dann 8 Uhr bis 11 Uhr Kultur oder Diskussion im Zelt, dann 11 Uhr bis 1 Uhr Organisationsplenum, dann wie tot in´s Bett. Ich fühle mich wie besoffen. Es war einfach toll …‘

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