Die Vernetzung geht weiter …

Nach der Projektemesse 1983 entstanden überall im Land Arbeitsgemeinschaften oder zumindest Teffen der selbstverwalteten Betriebe der jeweiligen Region. Die Bewegung war in Bewegung geraten.

Wintertage in Berlin

Als Ergänzung zu den Projektemessen und zur Vertiefung der (diesmal nicht durch Besucher gestörten) Kontakte und Diskussionen begründeten die ‚Stattwerke‘ in Berlin eine neue Tradition: die ‚Wintertage‘. 3 Tage lang wurde über die wichtigsten Probleme selbstverwalteten Arbeitens und Lebens diskutiert, morgens in Form von Branchentreffen, nachmittags in parallel laufenden Blöcken über innerbetriebliche Probleme, Wirtschaftspolitik und neue Vernetzungsansätze. Die Wintertage fanden immer im Januar statt und wurden von jeweils etwa 200 Kollektivisten besucht und genutzt.

Staatsknete ‚droht‘ – Verbandsgründung in Hessen

In Hessen hatte sich schon früher zum Thema Geldverteilung ein ‚Projektrat‘ gebildet, der auf die Kredit- und Spendenvergabe des regionalen ‚Netzwerk Selbsthilfe‘ Einfluss nehmen wollte, um zu verhindern, dass diese Gelder ‚der Szene‘ nach Gutsherrenart verteilt würden.

Nachdem sich 1984 abzeichnete, dass es zu einer Regierungsbeteiligung der Grünen in Hessen kommen würde und bekannt wurde, dass von diesen ein 7-Millionen-DM-Paket zur ‚Förderung alternativer Wirtschaftsformen‘ in den Haushalt eingebracht werden sollte, ging es sehr schnell mit der weiteren Vernetzung. Einer Einladung in die Krebsmühle folgten viele Gruppe aus ganz Hessen, darunter auch die ‚verfeindeten‘ Sponti-Kollektive aus Frankfurt. Das Thema der Veranstaltung war klar definiert: Um schon im Vorfeld der Haushaltsdiskussionen bei den Vergaberichtlinien ‚mit Gewicht‘ mitreden zu können, sollte  der Verband der selbstverwalteten Betriebe Rhein/Main/Neckar/Lahn gegründet werden.

Nach einigen Anfangsstreiterein und Eifersüchteleien war man sich nach wenigen Treffen einig: Der Verband wurde gegründet, auf monatlichen Mitgliederversammlungen sollten anstehende Entscheidungen beraten und getroffen werden. Es enstanden 4 AGs, die AG-Öffentlichkeit, die AG-Projektemesse (die die Projektemesse 1984 in der Krebsmühle vorbereiten sollte), die AG-Ausbildung und die AG-Staatsknete. Letztere wurde für die Verhandlungen in Wiesbaden auserkoren. Es wurde ein Verbandsbüro angemietet und eine halbe Stelle für eine Bürokraft eingerichtet – finanziert aus den (nach jeweiliger Finanzkraft) unterschiedlich hohen Mitgliedsbeiträgen der angeschlossenen Betriebe.

Die AG-Öffentlichkeit schaffte es sogar, eine eigene Verbandszeitung herauszubringen, die dann aber nach der Projektemesse und der Gründung von Wandelsblatt/Contraste nicht weiter fortgesetzt werden musste.

Verstärkung vor Ort: Die Modellfabrik

Anfang 1984 gelang uns noch ein besonderer Coup: in Weißkirchen, nur einen Kilometer entfernt von der Krebsmühle und zu Fuß von dort in 10 Minuten zu erreichen, stand eine ehemalige Formenbau-Fabrik leer. Nach der Methode Krebsmühle nahmen wir Kontakt zum Besitzer auf und konnten mit diesem einen günstigen Pachtvertrag vereinbaren.

Danach wurde aus der Modellfabrik ein Fabrikmodell: 3 selbstverwaltete Betriebe aus der Region und die Druckerei der Krebsmühle bezogen zusammen die Fabrik, in der es neben den Produktionshallen auch weitere Wohnräume gab. Es ballte sich ganz schön was zusammen im Oberurseler Ortsteil Weißkirchen und manchem Mitglied des immer noch tiefschwarzen Oberurseler Magistrats dürfte dabei mulmig geworden sein. Ganz im Gegensatz zu uns – mit den Selbstverwaltern in der Modellfabrik waren wir nun 80 Leute ‚auf engem Raum‘ und mit enger Zusammenarbeit. Die Selbstdarstellung der Modellfabrik in der ‚Stadtgrenze‘ Nr. 5 vom April 1984 ist hier als PDF hinterlegt.

Die Projektemesse 1984

Die Projektemesse 1984 war das größte und öffentlichkeitswirksamste Projekt, das die Selbstverwaltungs’bewegung‘ zustande brachte. Die ‚Bewegung‘ erreichte ihren Höhepunkt. 1983 waren bei der Projektemesse schon 200 Kollektivisten aus 50 Betrieben angereist – diesmal waren es 200 Betriebe, die sich gemeinsam einer hoch interessierten Öffentlichkeit mit ihren Entwicklungen und Produkten vorstellten.

Dies wurde möglich, weil die Ausstellung einerseits auf sowohl die Krebsmühle als auch die Modellfabrik verteilt werden konnte und andererseits die Kollektive sich nicht einzeln vorstellten, sondern sich fachspezifisch an den Infoständen gemeinsam präsentierten, was das Ganze sowohl für Besucher als auch für die interessierten Kollektivisten deutlich überschaubarer machte.

Der neugegründete hessische Verband organisiert

Die organisatorische Vorbereitungsarbeit übernahm die AG Öffentlichkeitsarbeit des neugegründeten Verbands der selbstverwalteten Betriebe Rhein/Main/Neckar/Lahn mit seinem Verbandsbüro. Dort wurde eine aufwendige, 85 Seiten umfassende Broschüre erstellt (und aus Verbandsmitteln finanziert), in der die Themenbereiche der Messe – Eigenfinanzierung, Ausbildung, Vernetzung, Selbsthilfe im Sozialbereich und Belegschaftsbetriebe – mit Diskussionsbeiträgen und Hintergrundinformationen inhaltlich vorbereitet wurden.

Die Broschüre hier wiederzugeben würde den Rahmen sprengen. Wir haben aber zusätzlich zur Kurz-Information der Öffentlichkeit, eine Ausgabe der ‚Stadtgrenze‘ produziert, die sich fast ausschließlich mit dem Geschehen rund um die Projektemesse befasst.

Diese ist hier als PDF hinterlegt und gibt einen guten Eindruck davon, was während dieser 10 Tage rund um die Krebsmühle und die Modellfabrik ‚abging‘.

Das Messemotto: ‚ökologisch leben, friedlich arbeiten, in einer selbstbestimmten Gesellschaft‘

Neu war diesmal auch:

– die Messe blieb an drei Tagen für die Öffentlichkeit geschlossen, um den Kollektivisten genügend Zeit und Raum für das Kennenlernen, die internen Diskussionen und auch zum Entspannen zu lassen.

– die Teilnahme von BDP (Bund DeutscherPfadfinder) und DGB (mit Mitarbeiter*innen des Haus der Gewerkschaftsjugend in Oberursel), die jeweils eigene Projekte der Jugendarbeit vorstellten.

– die Teilnahme von hochkarätigen Vertretern aus Politik und Wirtschaft an den drei großen Podiumsdiskussionen im Veranstaltungszelt.

Hart ging es zur Sache beim Thema ‚Ausbildung in Selbstverwaltung‘, diskutiert am Beispiel der ASH-Lernwerkstatt.

Eher lustig – weil die Streitigkeiten schon vorab in Arbeitsgruppen geklärt waren – ging es zu beim zweiten großen Thema: Dem Für und Wider der Gründung einer eigenen Bank.

Zur Podiumsdiskussion ‚Alternative Ausbildung‘ hier einige Fotos:

Desgleichen zur Podiumsdiskussion ‚Brauchen wir eine Ökobank?‘

Auch die Kultur wurde nicht vergessen:

Praktische Folgen der Projektemesse …

.. waren das GO! zur Gründung der Ökobank und die Gründung der Zeitschrift Contraste (ursprünglich ‚Wandelsblatt‘). Darüber berichten wir auf der Folgeseite.

© Hilfe zur Selbsthilfe e.V.