Die ganze Gesellschaft gehört verändert…

Ist das Leben, so wie es „normalerweise“ angelegt ist, in den vorgefertigten Bahnen, in denen es „normalerweise“ verläuft, nicht überhaupt sinnlos? Gibt es nicht überall bereits Einzelpersonen und Gruppen von Menschen, die aus diesem vorgekauten „Leben” aussteigen, die es nicht mehr zerstückeln lassen wollen in (entfremdete) Arbeit und (kommerzialisierte) Freizeit. Was ist das für ein “Leben”, äußerlich isoliert in den Hochhäusern der Schlafstädte, innerlich isoliert durch jahrzehntelang anerzogenes Mißtrauen, während 5 Tagen in der Woche täglich 10 Stunden damit beschäftigt, darauf zu warten, dass endlich Feierabend wird, um sich dann – ausgepumpt – vor die Glotze zu werfen oder draußen die sogenannte „Freizeit” zu konsumieren?

Damals war die sogenannte „Sinnkrise” in aller Munde. Wir fühlten uns bestätigt, produzierten unsere erste Selbstdarstellungsbroschüre und einen Video-Film, mit dem wir das, was uns bewegte, nach außen tragen konnten. Wir suchten den Kontakt zu anderen Gruppen, veranstalteten einen Selbsthilfe„kongreß” mit anschließenden regelmäßigen „Delegiertentreffen“ der Gruppen, die wir darüber kennengelernt hatten. Wir wollten Zusammenarbeit, denn zusammen würden wir unübersehbar sein. Zusammen: das hieß gebündelte Power, das musste doch anstecken! Nicht nur der eigene Lebensraum – die ganze Gesellschaft gehört verändert.

Mittel zum Zweck: die WWA

In dieser Zeit gründeten wir unsere erste Zeitung. Den Zeitungstitel „ Wir wollen alles“ der Frankfurter Spontis holten wir wieder raus aus der Versenkung, in die er bereits verschwunden war, und wandelten ihn um in „Wir wollen’s anders“. Damit wollten wir bewusst eine Brücke schlagen zwischen unserer (obstruktiven) Sponti-Vergangenheit und unserem neu gefundenen positiven Ansatz für eine bessere Zukunft. In der „WWA“ verarbeiteten wir unsere Erfahrungen mit der Entwicklung der Gruppe, unsere Eindrücke von den Reisen zu befreundeten Gruppen und Gruppentreffen quer durch Europa; hier setzten wir uns mit der linken „Scene“ auseinander. Hier propagierten wir unsere Aufbau-Vorstellungen. Und hier verabschiedeten wir uns ein knappes Jahr später von der „Alternativbewegung“, die uns zu nichtssagend und zu lasch geworden war.

Abschied von der ‚Alternativbewegung‘

Treffen über Treffen, die sich – allen Wünschen und Vorsätzen zum Trotz – am Schluß doch immer als Familientreffen herausstellten. Plausch am Lagerfeuer, ohne dass man sich jemals auf ein gemeinsames Gesprächsthema hätte einigen können. Der Wunsch, „was zusammen zu machen“, war wohl allgemein vorhanden. Warum hätte man sich sonst treffen sollen? Aber was das denn nun sein könnte, das, was man zusammen machen sollte: darüber herrschte noch nicht mal Unstimmigkeit, sondern schlimmer: es kam überhaupt nicht zur Entwicklung einer entsprechenden Phantasie. Zu unterschiedlich waren die Gruppen, zu unterschiedlich die Vorstellungen der einzelnen. „Alternativ“ war damals das Modewort: wer irgendwas auf sich hielt, war auf die eine oder andere Weise „alternativ“. Unter diesem Schlagwort einen gemeinsamen Veränderungsansatz konstituieren zu wollen, war einfach naiv. Wir haben relativ lange gebraucht, bis wir uns von diesem Wunschtraum verabschiedeten. Und wir haben dann einige Zeit gebraucht, die Enttäuschung zu verarbeiten. Seither haben wir die Bezeichnung „Alternativbetrieb“ für uns strikt zurückgewiesen. Die Arbeiterselbsthilfe Frankfurt ist damals zum selbstverwalteten Betrieb und Propagandisten einer betrieblichen Selbstverwaltungsbewegung geworden.

Klare Positionierung: Dem Medium der Frankfurter Sponti-Linken „Wir wollen alles“ stellen wir unsere „Wir wollen´s anders“ gegenüber. Wir wollen nicht im Bekämpfen und Negieren steckenbleiben, sondern einen positiven Zukunftsansatz propagieren.

Die WWA war als Periodikum geplant und sollte – typische Selbstüberschätzung und -überforderung – monatlich erscheinen. Immerhin haben wir es geschafft, 6 Ausgaben zu produzieren.

Nach dem ‚TUNIX‘-Kongress der Linken in Berlin nennen wir unser Café in deutlicher Abgrenzung „Café TUWAS“ – nix zu tun ist nicht unser Ding. Und auch für den DGB haben wir eine deutliche Antwort: „Recht auf Arbeit? Katzenjammer! Selbstverwaltung ist der Hammer!“

Zur Verstärkung der Kommunikation und des Zusammengehörigkeitsgefühls gibt es regelmäßigen Austausch von Gruppenmitgliedern. Hier im Bild ein Besuch unserer Delegierten bei der Schäfereigenossenschaft ‚Finkhof‘ im Allgäu.
Zuhause lassen wir keine Gelegenheit aus, auch „normale“ Kunden mit unseren Botschaften zu konfrontieren. Das Bild zeigt den Kundentreff vor dem Eingang zu unseren Ausstellungsräumen.

Betriebsbesetzungen motivieren zusätzlich

Die Uhrenfabrik Lip in Besancon, die geschlossen werden sollte, war von den Kollegen besetzt worden. Und das war das Neue: Die Kollegen begnügten sich nicht mit (nutzlosem) Protest, sondern nahmen ihre Produktionsmittel selbst in Besitz: Lip-Solidaritätsuhren wurden produziert, illegal über die Grenze gebracht und hier vertrieben. Maschinen, mit denen vorher Rüstungsgüter hergestellt worden waren, wurden einem sinnvollen Zweck zugeführt: auf ihnen wurden neue Produkte, u.a. Spielzeug produziert. Und das Leben wurde in die Fabrik zurückgeholt: eine Volksküche wurde errichtet, in der auch die Arbeitslosen der Umgebung verpflegt werden konnten, die Frauen und Kinder waren mit in der Fabrik. Es waren einfach ungeheuer viele Entwicklungen und Ansatzpunkte der gleichen Art, wie wir sie bei uns auch erlebten. Zudem: der Lip-Besetzung waren andere Betriebsübernahmen gefolgt, das Beispiel begann, Schule zu machen. Was für eine Idee, sich vorzustellen, dass jetzt von den Arbeitern, von den Fabriken her, der Impuls für ein anderes Leben vorangetrieben werden könnte. Schließlich war der Fabrikansatz der Frankfurter Spontis (politische Betriebsarbeit beim Opel in Rüsselsheim), an dem wir beteiligt waren, mangels echter Strategie Jahre zuvor kläglich gescheitert.

Alle Betriebe in Selbstverwaltung!

Welch tolles Gefühl, jetzt nicht wie früher mit leeren Händen dazustehn, keine Antwort zu wissen auf Fragen der Art, „wer denn noch zur Arbeit kommen würde, gäbe es keine Vorgesetzten“ oder dass „man ja doch keine 5 Deutschen unter einen Hut“ brächte; sondern was vorzeigen zu können, wie mickrig auch immer.

Es war – neben der durch das Wachstum der Gruppe bedingten erneut heraufziehenden Raumnot – vor allem dieser Impuls, der uns nach neuen Räumen Ausschau halten ließ. Die Fabona-Schuhfabrik in Bonames würde sich von uns nie so gestalten lassen, wie wir das für den Vorzeigebetrieb unserer Phantasie machen wollten und mußten. Die Autoschrottler hielten nichts davon, den Innenhof vom Schrottplatz in Lebensraum zu verwandeln, schon garnicht, ihn einen Treffpunkt für den Stadtteil werden zu lassen. Die drei griechischen Familien im anderen Gebäudeteil winkten nur müde ab und wollten ihre Ruhe haben. Ein Sturm brach einen morschen Ast vom Baum, der ein Gebäude ganz zerstörte: Niemand machte sich die Mühe, die Trümmer zu beseitigen. Das Gelände war preisgegeben, die Gebäude zum Abriss bestimmt. Wir alle waren nur noch geduldet.

Hier ein letzter nostalgischer Blick zurück auf ein Stadtteilfest in unserem Garten.

© Hilfe zur Selbsthilfe e.V.