Neues Selbstbewusstsein – neues Logo

Zum Ende des Jahres 1983 hatten wir unsere drückenden Schulden halbwegs im Griff. Wir hatten eine sehr erfolgreiche Projektemesse durchgeführt und waren in der Selbstverwaltungsszene als führendes Projekt anerkannt. Neben den kleineren und größeren Beiträgen zu den Projektemessen waren zwei Fernsehfilme über uns gedreht worden, die uns bundesweit bekannt gemacht hatten. Nun waren die beiden Großprojekte ARENA und LERNWERKSTATT frisch gestartet. Wir waren mittlerweile 60 Leute und fühlten uns stark genug, ‚Ernst zu machen‘.

Dies spiegelte sich explizit und unübersehbar in unserem neuen Krebs-Logo, dass bald überall auftauchte – auch und für jeden sichtbar am Giebel des Mühlengebäudes. Ein befreundeter Grafiker hatte den Krebs mit der hochgereckten Faust entwickelt, mit der dieser ursprünglich freundlich grüßen sollte.

Dass daraus dann ein kleines rotes Teufelchen wurde, war zwar nicht geplant, passte aber zu unserem Selbstgefühl und wurde deshalb sofort an die Giebelwand gebracht. So fasziniert waren wir von dem Kerlchen, dass wir uns noch nicht mal die Zeit nahmen, den alten ‚Antiques‘-Schriftzug vorher zu entfernen.

Natürlich war das eine Provokation für den Oberurseler Magistrat und das sonstige rechtslastige Umfeld, aber das wollten wir ja gerade. Unsere Angst der ersten Monate nach dem Einzug war längst verschwunden.

Die ‚Stadtgrenze‘

In genau diesem Drang, uns unserer benachbarten Öffentlichkeit endlich unverstellt mitzuteilen, entstand das Projekt ‚Stadtgrenze – Zeitung rund um die Krebsmühle‘. Der Name war nicht schwer zu finden – schließlich liegt die Krebsmühle ja tatsächlich genau an der Grenze zwischen Frankfurt und Oberursel.

Im Zeitungsmachen hatten wir reichlich Erfahrung, die Produktion auf der Rollenoffsetmaschine von Caro-Druck war bei 8 Seiten Umfang schnell und günstig zu machen und für das Verteilen der 5.000 Exemplare waren wir ja Leute genug.

Am 28.10.1983 erschien sie erstmalig – mit provokantem Aufmacher, einem Bericht über die Entwicklung der ASH und Beiträgen zum Café, zur gerade startenden Lernwerkstatt und natürlich zu ARENA mit dem Theaterprogramm für den November.

Tatsächlich war vor allem ARENA der Grund für das Zustandekommen des neuen Zeitungsprojekts,  denn jeden Monat würde es erneut notwendig werden, das aktuelle Programm zu veröffentlichen.

Mit der ‚Stadtgrenze‘ schufen wir uns die Möglichkeit, bei den unmittelbaren Nachbarn bekannt zu werden, Informationen weiterzugeben und – natürlich – auch Werbung zu machen, ohne wie ein Werbeblättchen ‚rüberzukommen‘. Sie war weder als weitere Provokation Richtung Magistrat gedacht noch als politisches Kampfblatt geplant.

Dass sie im weiteren Lauf der Dinge genau diese Rolle spielen würde, war einfach nur Reaktion auf die Anfeindungen, denen wir ausgesetzt wurden und auf die wir reagieren mussten. Dabei waren wir allerdings mehr als froh, dass wir sie hatten.

Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt.

Wir haben später oft überlegt, wie es bei dem – gelinde gesagt – angespannten Verhältnis zwischen ASH/Krebsmühle und dem tiefschwarzen Oberurseler Magistrat überhaupt zu unserem Einzug kommen konnte. Das war vermutlich ein Vorteil der Lage direkt an der Stadtgrenze zu Frankfurt, also weitestmöglich entfernt vom Rathaus: die haben das wohl einfach nicht mitgekriegt. Zuständig waren ja bei unserer Anmeldung die Fachbehörden (Gewerbeaufsichtsamt, Bauamt, Einwohnermeldeamt usw.) und von den Kolleg*innen dort – das soll hier ausdrücklich betont werden! – wurden wir immer korrekt, eher sogar freundlich behandelt.

Vielleicht hat man später gedacht, das Problem würde sich qua Bankrott oder Auflösung der Gruppe von selbst lösen?

Egal, ob die Bürgermeister Harders (1978-1990), Schadow (1990-1996) oder Krämer (1996-2003) hießen und egal welche 1. Stadträte und Kämmerer regierten – ein Verhältnis zur Krebsmühle fand nicht statt, und wenn doch, war es negativ. Wo es immer ging, wurden uns Knüppel zwischen die Beine geworfen, fleißig unterstützt von der reaktionären ‚Taunus Zeitung‘, einem Ableger der ‚Frankfurter Neuen Presse‘.

Im Februar 1984 eskalierte die Situation anlässlich eines harmlosen ‚Brandes‘ in einem Topf mit Bienenwachs. Was folgte, war – wie wir heute sagen würden – ein regelrechter ‚Shitstorm‘ mit Lügen und Übertreibungen, wie wir ihn bis dahin noch nicht erlebt hatten. ‚Lebensgefährlich‘ sei der Aufenthalt in der Krebsmühle, die Verhältnisse dort ‚ein Skandal‘ (Zitat: „da hausen etwa 25 Personen in Löchern, das kann man sich garnicht vorstellen“). Die ersten 3 Seiten der ‚Stadtgrenze‘ vom März ´84 haben wir zu Dokumentationszwecken als PDF zusammengestellt und hinterlegt.

Nun mag eine solche Kampagne angesichts der ‚Shitstürme‘, die wir heute im Internet erleben, eher harmlos erscheinen. Für uns damals war es eine echte Existenzbedrohung. Ohne unsere ‚Stadtgrenze‘ hätten wir keine Chance gehabt, uns gegen solche üble Nachrede zu wehren. Und ‚hängen‘ bleibt dann immer was.

‚Ein dummes Blatt‘ sei die ‚Stadtgrenze‘, meinte der Stadtkämmerer … und kriegte im nächsten Editorial der ‚Stadtgrenze ‚ dafür prompt wieder einen auf die Mütze.

Sicher haben wir in unseren Beiträgen oft überzogen und taktisch war es vermutlich auch nicht sehr geschickt, sich mit den örtlichen Autoritäten in dieser Weise anzulegen – aber es war so herrlich befreiend …

Die ‚Stadtgrenze‘ erschien von ihrer ersten Ausgabe im Oktober ’83 an bis zum September ´84
(der Ausgabe zur Projektemesse) regelmäßig/unregelmäßig kontinuierlich acht mal und noch ein weiteres mal im Frühjahr 1985 zum Thema Zwischenprüfung der Lernwerkstatt, dem nächsten Konflikt.

Danach war Ruhe. Einerseits hatten die Anfeindungen aufgehört (und waren folgenlos geblieben), andererseits mussten wir feststellen, dass wir – ohne solche Konflikte – nicht genug Themen hatten, monatlich oder zweimonatlich eine Zeitung mit interessanten Inhalten zu füllen. ‚Aussenpolitisch‘ waren wir nach der Projektemesse sehr damit beschäftigt, die neue Zeitung ‚Contraste‘ und die Eigenkapitalsammlung für die Ökobank voranzutreiben. ‚Innenpolitisch‘ drückte der aus der Debatte um die Zwischenprüfung entstandene Konflikt mit der Lernwerkstatt ebenso auf die Gemüter wie die sich wieder verschärfende ökonomische Lage. Einen Ausweg daraus suchten wir – sehr zukunftsorientiert – in unserem Abstecher in die Welt der EDV.

© Hilfe zur Selbsthilfe e.V.