Keine Berührungsängste

Ende 1981 kamen die ersten IBM-PCs auf den Markt, Ende 1987 hatten wir die erste lauffähige Version unseres eigenen Verwaltungsprogramms entwickelt – wie war das möglich?

Aktion dritter Weg und CCS GmbH in Hamburg

Ein Zufall, möchte man sagen, wenn es denn Zufälle gäbe. In Wirklichkeit hatten wir im Rahmen unserer Werbekampagne für die Ökobank an einer Tagung des anthroposophisch orientierten Unternehmensverbandes Aktion Dritter Weg in den Räumen von deren Mitgliedsunternehmen CCS (Compact Computer Systeme) teilgenommen. Zu derem damaligen Geschäftsführer Rolf Saacke war eine freundschaftliche Beziehung entstanden.

‚Textline‘ – ein Computersatzsystem in Entwicklung

CCS war lizenzierter Vertreiber einer Xerox-Lesemaschine (einem hochspezialisiertem und ‚lernfähigem‘ Scanner, mit dem die unterschiedlichsten Schriftarten und auch die zugehörigen Satzbefehle erkannt und zur Reproduktion in digitale Daten umgesetzt werden konnten (der Artikel stammt aus der Zeitschrift ‚Computerwoche‘). Damals wurde, inspiriert von Rolf Saacke, zusätzlich ein neues Satzsystem entwickelt, das auf herkömmlichen PCs laufen sollte. Damit deren Hauptprogrammierer fern von Trubel und Hektik des laufenden Geschäftsbetriebes konzentriert arbeiten konnte – fand Rolf – sollte er dies im kreativ befruchtenden Umfeld der Krebsmühle tun. So kamen wir in Kontakt zu der fremdartigen Welt der Programmierung und der EDV.

Faszination

Wir waren ja ‚alte‘ Zeitungsmacher und hatten jahrelang mit Schreibmaschine Satzfahnen erstellt und (möglichst gerade)  verklebt. Allein dies jetzt am PC zu tun und mit diesem wunderschönen Blocksatz produzieren zu können war faszinierend. Richtig spannend wurde es, als mit ‚Textline‘ nicht mehr nur Satzfahnen, sondern komplette Seiten gestaltet werden konnten. WYSIWYG – ‚What you see is what you get‘ ist heute mit vielen Programmen machbar und also längst Standard – damals waren wir mit ‚Textline‘ an vorderster Front der Entwicklung.

Neue Aufgaben

Inzwischen waren wir für CCS die Test- und Anwendungswerkstatt geworden. Ein Benutzerhandbuch musste geschrieben werden, in dem die vielen Satzbefehle (zum Beispiel #VL für vertikale Linie oder #HL für horizontale Linie und eine Menge mehr) erklärt wurden – alles, was heute mit Anklicken und Mausbenutzung geschieht, ging damals nur mit solchen Befehlscodes. Vorführung war gefragt bei Messeauftritten, Anwenderschulung nach den ersten Verkäufen des Systems. Dies alles waren neue Aufgaben, mit denen wir nun konfrontiert waren.

Die Textline GmbH entsteht

Im August 1985 wurde die Zusammenarbeit zwischen der Aktion Dritter Weg/CCS und der ASH mit Gründung der Textline Gesellschaft für Kommunikation und Datentechnik GmbH fixiert. Wir waren nun ‚mit einem Bein‘ auch Teil der ‚Aktion Dritter Weg‘.

Zu dieser Zeit konnten (Satz-)Daten noch nicht direkt an Druckmaschinen übergeben werden. Zunächst musste in traditioneller Weise auf Filme belichtet werden, die danach auf Druckplatten umkopiert wurden. Mit der Firma Textline erwarben wir eine hochmoderne Belichtungsmaschine (die Lasercomp von Monotype) und die zugehörige Belichtungseinheit. Damit waren wir ein professioneller Satzbetrieb und mussten uns auf diesem Markt behaupten.

Das Fotosatzstudio Textline

Jürgen Holz, ‚von der Pike auf‘ gelernter Setzer, an seinem Arbeitsplatz im Textline-Büro

Nun gab es also neben der Gastronomie, den Holzbearbeitungsbetrieben (Laugerei und Holzwerkstatt) und dem Möbelladen einen neuen – zukunftsweisenden – ASH-Betrieb in der Krebsmühle, der – Schicksal aller neuen Unternehmen – seine ökonomische Basis erst finden musste: qualifiziertes Personal musste ebenso ‚gefunden‘ werden wie die Kunden, für die produziert werden konnte. Dass dies nicht einfach und in den Anfangsjahren eher verlustträchtig ist als gewinnbringend, weiß jeder Unternehmensgründer.

Zum Glück war Textline ein aussergewöhnlich gutes Satzsystem, mit dem sich aufgrund sogenannter ‚Makrobefehle‘ sehr komplexe Satzaufgaben kostengünstig lösen ließen. Solche Befehle zu konstruieren ist schon fast Programmierarbeit, aber wir hatten ja die Programmierer praktischerweise nebenan bei Softwareteam im Haus und die benötigte Hilfe damit gratis.

Nach einer ersten Durststrecke mit wenigen Auftraggebern und hauptsächlich Fließsatzaufgaben (Bücher) konnten wir mit diesem Plus punkten und hochkarätige Auftraggeber finden. Der Höhepunkt war der Auftrag der FAZ, deren vierteljährlich erscheinenden ‚Hochschulanzeiger‘ zu setzen.

Bei Textline waren schließlich 5 Leute fest eingestellt, darunter auch ein Lektor, dessen Aufgabe ausschließlich darin bestand, die gesetzten Texte auf Fehler zu überprüfen.

Das hätte wunderbar weiterlaufen können, wäre da nicht die technische Entwickung gewesen. Die bestand in immer mehr und immer besseren sogenannten Desktop-Publishing-Systemen, mit denen auch ungelernte Sekretär*innen brauchbare Satz-/Bildgestaltung machen konnten. In Verbindung mit hochwertigen Laserdruckern entfiel damit schließlich für viele Kunden die Notwendigkeit, mit ihren Gestaltungsaufgaben Satzbetriebe zu beauftragen – und damit für uns und viele Kollegen die Basis für die Weiterführung des Betriebes.

Das Ende von Textline

1993 war Schluss mit der Firma Textline. Die Firma „ruhte“ zunächst, bis wir den Firmenmantel 1995 zur Gründung unserer Großhandelsfirma ‚Antika‘ verwenden konnten.

Dieter und Gerhard (Contraste) im Textline-Büro bei der Schulung durch Annette

Auch das Satzsystem Textline scheiterte an der Gschwindigkeit der technischen Entwicklung. Angesichts des schwindenden Marktes für ausgefeilte Satzsysteme (die Software Textline kostete immerhin rund 10.000 DM) konnte CCS die weitere Entwicklung nicht mehr finanzieren.

Immerhin hatte Contraste die Software kostenlos erhalten und waren die Kollegen von Zündsatz von uns in der Handhabung geschult worden: bei Contraste war das Satzsystem Textline noch jahrelang im Einsatz.

Das Software-Team

Das Software-Team war die Programmierwerkstatt der ASH, in der vor allem die Software für unser eigenes Verwaltungsprogramm entwickelt wurde. Der Grundgedanke war, die zu Entscheidungsfindungen notwendigen Informationen so aufzubereiten, dass alle den gleichen Kenntnisstand haben oder doch zumindest haben können. Keine Angst, Ablehnung oder gar Verteufelung dieser neu aufkommenden Technologie also, sondern der Versuch, sie für Basisdemokratie im Rahmen der Selbstverwaltung zu nutzen.

CCS erneut der Impulsgeber

Wieder war es Rolf Saacke von CCS, der die Sache ins Rollen brachte. Bei CCS arbeitete – noch während seiner Schulzeit –   Ralph Tiede. Er hatte dort für eine Hamburger Kreditbank ein Adressverwaltungsprogramm geschrieben. Dieses Programm sollte dem Verein Freunde und Förderer der Ökobank für den Aufbau seiner Mitgliederdatei zur Verfügung gestellt werden und musste an die neuen Anforderungen angepasst werden. Damit wurde Ralph beauftragt, der dazu 1985 erstmalig in die Krebsmühle kam, um die Aufgabe in direkter Kommunikation mit dem Ökobankverein zu lösen. Das schaffte er zwar an nur einem Wochenende, aber – wie immer – entwickeln sich aus der Anwendung eines Programms neue Wünsche und Anforderungen, und so war Ralph häufiger in der Krebsmühle zugange.

‚Textline-Das Büro‘ entsteht

Zur Messe Orgatec im Oktober 1986 war das Satzprogramm Textline so weit entwickelt, dass es dort vorgestellt werden konnte. Als ‚Tüpfelchen auf dem I‘ sollten mit dem Programm auch schön formatierte Serienbriefe erstellt werden können. Wieder übernahm Ralph diese Aufgabe und schrieb (programmierte) in Tag- und Nachtschichten innerhalb von 4 Wochen (!) die erste Version von „Textline – Das Büro“, die auf der Messe auch präsentiert wurde.

Weitere Programmier-Anforderungen

(von links) Hans-Peter Martin, Ralph Tiede, Karl Bergmann (Anwender) und Johannes Schoeppe vom Softwareteam beim Einsatztest des BÜRO-Programms für die Krebsmühle.

Weitere Programmier-Anforderungen in und um die Krebsmühle (etwa für Contraste die Entwicklung eines Moduls für den Postzeitungsvertrieb, womit jede Menge Porto eingespart werden konnte) und vor allem immer wieder notwendige Speziallösungen für den Satzbetrieb Textline führten zu der Idee, dafür eine eigene Firma zu gründen:  „Softwareteam, Gesellschaft für besondere Lösungen mbH“ entstand im Sommer 1987 unter Führung von Ralph Tiede, Johannes Schoeppe und – später – Hans-Peter Martin.

 ‚Das Büro‘ – die Weiterentwicklung von ‚Textline-Das Büro‘ – war ursprünglich nur für den Bedarf der ASH/der Krebsmühle entwickelt worden (mit einem unverhältnismäßig hohen finanziellen Einsatz, muss dazu gesagt werden). Nun ging es bei Softwareteam darum, diese Software so rund und so stabil zu machen, dass sie auch verkauft werden und zumindest einen Teil der Entwickungskosten wieder einspielen könnte.

Softwareentwickler sind keine Kaufleute

Das Erste gelang mit Bravour. Nachdem das Programm zunächst im Freundes- und engen Bekanntenkreis installiert und die in der praktischen Anwendung noch auftretenden Fehler beseitigt waren, war ein Verwaltungsprogramm entstanden, das keine Wünsche offenließ. Noch heute, mehr als 30 Jahre später, wäre es schwierig (oder teuer), ein entsprechendes Programm mit so ausgefeilten Funktionen zu finden. In der Ablaugerei der Krebsmühle ist es nach wie vor im Einsatz.

Nachstehend ein paar Screenshots des Programms aus seinem Einsatz bei unserer Groß- und Einzelhandelsfirma Antika (mit Lagerhaltungsmodul und Vertreterabrechnung).

Schwer getan haben wir uns schon immer (und in vielen Bereichen) mit der offensiven Vermarktung. Wenn bei einer Niederlage beim Fußball davon gesprochen wird, dass einfach der ‚unbedingte Wille zum Sieg‘ gefehlt habe, könnte man das in Analogie so übersetzen: Es fehlte einfach der unbedingte Wille, richtig Geld zu verdienen. Was vermutlich damit zu tun hat, dass ‚Geld machen‘ oder ‚reich werden‘ in den ASH-Genen nicht nur nicht angelegt, sondern regelrecht verpönt (‚unmoralisch‘) war. Eine solche Grundhaltung wird man nicht los (will man die überhaupt loswerden?) und stößt damit an Grenzen.

Die Denker vom Softwareteam: Ralph Tiede und Hans-Peter Martin

Bei Softwareteam hätte man einen Vertriebszweig aufbauen müssen. Man hätte professionelle Werbeagenturen beauftragen und auf Messen präsent sein müssen. Jedenfalls hätte ein ’normaler‘ Unternehmer so geplant. Dafür aber waren die Jungs vom Softwareteam viel zu sehr Programmierer (Kreative) und auch im ASH-Umfeld fand sich niemand, das in die Hand zu nehmen. Der Kundenstamm für Das Büro entwickelte sich daher lediglich über Mund-zu-Mund-Propaganda  und blieb entsprechend begrenzt.

Auftragsprogrammierung

Trotzdem entwickelte sich Softwareteam einige Jahre lang vielversprechend. Neben der Weiterentwicklung der Büro-Software wurden kleinere und größere Auftragsprogrammierungen durchgeführt, u.a. für den Verlag Medical Tribune (die weitgehend automatisierte Erstellung des Gebührenhandbuchs für Ärzte auf der Basis der Textline-Software) und den Verlag Schweizer Lexikon. Softwareteam konnte in dieser Zeit immerhin monatlich 6.000 DM zur Gesamtökonomie der Krebsmühle beitragen.

Das Ende von Softwareteam

Das Projekt scheiterte schließlich an einem Großkunden. Ralph beschreibt das Ende so:

„Das Projekt mit dem Schweizer Lexikon Verlag lief völlig aus dem Ruder. Am Ende standen bei uns 82.000 DM offene Forderungen, die nie bezahlt wurden. Das war ziemlich ätzend, weil ein Großteil der Schuld tatsächlich bei den Schweizern lag. Aus heutiger Sicht hatten Hans Peter und ich natürlich auch unseren Teil zum Desaster beigetragen. Wir waren halt keine ausgebildeten Geschäftsleute. Als dann auch andere Aufträge ausblieben, musste ich Anfang 1992 die Notbremse ziehen. Mit 160.000 DM Schulden bin ich dann aus der Mühle raus. Hans Peter habe ich aus der Verantwortung entlassen, weil er mir keine große Hilfe gewesen wäre. In den ersten zwei Jahren hat er mir aber auf freiwilliger Basis einiges aus seinen Verdiensten zukommen lassen, sodass es eine kleine Erleichterung für mich, wenngleich der große Brocken natürlich bei mir hing. Das war dann für mich das Ende der Selbstverwaltung und eine ziemlich harte Zeit, bis ich wieder alles geordnet hatte“.

Schuster, bleib bei Deinen Leisten …

So endete unser Ausflug in die Welt der EDV, vom dem wir uns versprochen hatten, ein neues – zukunftsträchtigeres – Standbein neben der Möbelbearbeitung und dem Möbelverkauf zu finden. Dass Ralph heute Leiter der Softwareentwicklung bei der Carl Zeiss SMT GmbH ist, verdeutlicht, welches Potential uns hier verloren ging.

© Hilfe zur Selbsthilfe e.V.