Statt Disco: Integrativer Kindergarten

Etwa Mitte 1990 fiel uns bei der Zeitungslektüre eine Anzeige auf. Christa Hemmerich, die Initiatorin eines ‚Fördervereins des mehrsprachigen Kindergartens e.V.‘ suchte dort nach Räumen für die Verwirklichung eines integrativen Kindergartenprojekts für 30 Kinder.

Räume hatten wir zu bieten: 270 qm der nicht in Betrieb genommenen Disco und unmittelbar angrenzend 750 Gartenfläche, hervorragend geeignet für einen Kinderspielplatz. Ohne Zweifel Platz genug für 30 Kinder und deren Betreuer. Das fanden auch die Mitglieder des Fördervereins. Große Begeisterung allenthalben. Die Hürde: über die Räume konnten wir erst verfügen, wenn wir den Discobetreibern die verhandelte Entschädigung (160.000 DM) ausgezahlt hätten. Ausserdem mussten die Räume teilweise wieder umgebaut (z.B. die für die Disco zugemauerten Fenster wieder eingebaut) werden, was weitere 70.000 DM an Baukosten erfordern würde.

230.000 DM – woher nehmen?

Unsere Optionen waren sehr beschränkt. Einerseits war da die Stiftung Umverteilen, die ja den Kauf der Krebsmühle finanziert hatte und dafür an erster Stelle über das Grundbuch abgesichert war. Würde es gelingen, hier eine Aufstockung des Kredits zu erreichen? Das hätte wohl geklappt – hätten wir in den zurückliegenden Jahren ordnungsgemäß und reibungslos Tilgung und Zinsen des bestehenden Kredites bedient. Da dies aber definitiv nicht der Fall war und wir in unserer Krise schon Schwierigkeiten hatten, die laufenden Zinsen aufzubringen, fanden wir zwar Wohlwollen und freundliche Worte, aber auch deutliche Zeichen dafür, dass es zu dieser Krediterweiterung nicht kommen würde.

Letzte Hoffnung Ökobank?

Im Mai 1988 hatte sie ihren Geschäftsbetrieb aufgenommen und uns seither schon bei mehreren Gelegenheiten spüren lassen, dass sie sich recht schwertat mit dem Geldverleihen. Und auch diesmal wurden die gebotenen Sicherheiten (Abtreten der Miete des Kindergartens über die 5-jährigen Laufzeit des Kredits, Grundbucheintrag bei der Krebsmühle und persönliche Bürgschaft des Vereinsvorsitzenden) als nicht ausreichend befunden – der Kreditantrag wurde einfach nicht entschieden, sondern monatelang verschleppt.

Kurz vor dem Aus für das Kindergartenprojekt erlebten wir eine Überraschung. Christa Hemmerich vermittelte uns den Kontakt zu einem freundlichen Kreditberater der (damals noch existierenden) Dresdner Bank , und dieser – staun, staun – sagte uns den Kredit auf Grundlage der gleichen Sicherheiten innerhalb von 2 Tagen zu. Grund genug für den nebenstehenden Artikel zur Ökobank in unserer Stadtgrenze

Januar 1991 – Start des Kindergartenprojekts

Am 15. Januar 1991 startete der neue integrative Kindergarten mit einem an Maria Montessori angelehnten Konzept. Der Elternbeitrag konnte – mit Zuschüssen der Stadt Frankfurt, des Landes und des Landeswohlfahrtsverbandes – mit 175,- DM vergleichsweise niedrig gehalten werden. Die rot-grüne Stadtverwaltung in Frankfurt spendierte mit 150.000 DM zusätzlich die Kosten für den inneren Umbau und die Ersteinrichtung mit Möbeln und Spielgeräten.

Das Erziehungskonzept haben wir in einem Artikel unserer Stadtgrenze ausführlich beschrieben.

Das Kindergartenprojekt lief mehrere Jahre. Die Räume wurden anschließend von der ‚Freien Waldorfschule Vordertaunus‘ übernommen.

Das Flüchtlingsprojekt

Die frühen 90er Jahre waren die Zeit der ersten großen Flüchtlingswelle, verursacht durch die Balkankriege, Konflikte zwischen Eritrea und Äthiopien, Mali und Burkina Faso sowie Bürgerkriege in Burundi, der Republik Kongo, in Senegal und Simbabwe.

Unterkunft für Asylanten …

Schon 1988 baten 100.000 Menschen um Asyl, 1990 waren es schon 190.000, 1992 stieg die Zahl der Zuwanderer auf über 400.000. Für diese Menge Menschen war der benötigte Wohnraum schlicht nicht vorhanden, was zu menschenunwürdigen Unterbringungen in Containern, Turnhallen und sogar Zeltdörfern führte. Sofort waren auch Geschäftemacher dabei, die Situation auszunutzen und in heruntergekommenen Gebäuden und Hotels zu teils horrenden Preisen ‚Wohnraum‘ zur Verfügung zu stellen.

… in der Krebsmühle?

Einerseits hatten wir leerstehende und dazu nutzbare Räume, andererseits empörte uns diese Geschäftemacherei auf dem Rücken der Asylanten.

Mit den von behördlicher Seite gezahlten Tagessätzen – so unsere Überlegung – müsste in der Krebsmühle nicht  nur menschenwürdiger Wohnraum geschaffen werden können. Jenseits von Profithascherei müsste bei gleichen Tagessätzen auch die für eine Integration notwendige Betreuung gewährleistet werden können.

Dazu wäre die Krebsmühle mit ihrem hohen Anteil von ausländischen Mitarbeitern und den vielfältigen Möglichkeiten des Geländes geradezu prädestiniert – wenn uns ein gewisser Einfluss auf die Zusammensetzung der hier Wohnenden gestattet würde.

Für die Betreuung hatten wir Volker Morawitz, damals Sprecher des Frankfurter Flüchtlingsrates und engagierter Mitarbeiter bei Pro Asyl, gewinnen können.

Partner wird das Multikulti-Amt in Frankfurt

Nachdem der Hochtaunuskreis unser Angebot abgelehnt hatte, wandten wir uns an das Amt für multikulturelle Angelegenheiten der Stadt Frankfurt, damals geleitet von Daniel Cohn-Bendit. Unsere Projektidee haben wir am 23.11.1990 in einem ausführlichen Schreiben dargelegt.

Es zeigte sich, wie gut es ist, in solchen Fragen mit einer rot-grünen Stadtverwaltung zu verhandeln. Unser Anliegen wurde an die Grundsatzabteilung des Sozialamtes weitergereicht, dort bearbeitet und – wer hätte solches im Umgang mit Behörden zuvor oder danach jemals erlebt – schon am 17.Januar 1991 positiv beschieden. Im Bewilligungsbescheid wurde uns – wie beantragt für zunächst 20 Personen – ein Tagessatz von 43,31 pro Person zugestanden. Mit dieser Summe (’normalerweise‘ ausreichend gerade mal für die Hotelunterbringung) konnten wir wie versprochen sämtliche Kosten decken und zusätzlich 1,5 Betreuungsstellen finanzieren (das war eine Vollzeitstelle für Volker und eine halbe Stelle für Bine, später Regina). Betreuung bedeutete dabei Unterstützung beim Umgang mit Behörden, Besorgen von Einrichtungsgegenständen, Hilfe bei schulischen Problemen und insgesamt, die Bewohner so weit zu integrieren und fit zu machen, dass sie – möglichst – nach einem Jahr eine eigene Wohnung ‚draußen‘ beziehen konnten. Auch bei der Wohnungssuche wurde entsprechend unterstützt.

Herr Lenski besorgt die Finanzierung …

Garantiert wurde uns eine 95%ige Belegung über die Dauer von 5 Jahren, danach würde man weitersehen. Diese Belegungsgarantie reichte allerdings nicht, um damit bei normalen Banken die Finanzierung des für den Wohnheim-Betrieb notwendigen Ausbaus sicherzustellen. Die Kosten dafür hatten wir mit 550.000 DM veranschlagt.

Unsere Anfragen an ‚die üblichen Verdächtigen‘ (Stiftung Umverteilen und Ökobank) waren – wie schon beim Kindergartenprojekt – ergebnislos geblieben, ebenso unser Versuch, die nötigen Mittel bei privaten Sympathisanten einzusammeln. An dieser Frage drohte das Projekt zu scheitern.

Wieder war es das Wohlwollen der Frankfurter Stadtverwaltung – namentlich das große persönliche Engagement von Herrn Lenski -, das uns aus der Patsche half. Er kümmerte sich nicht nur um eine Ausfallbürgschaft der Stadt Frankfurt für einen solchen Kredit (ein aufwändiges Verfahren, bei dem die gesamte Stadtverordnetenversammlung beschließen und das hessische Innenministerium zusätzlich genehmigen muss), sondern auch um eine Kreditzusage der Hessischen Landesbank (Helaba). Die Kreditzusage hatten wir am 20.6.1991, am 1.7. war das Geld auf unserem Konto (obwohl die Bürgschaft erst im Februar 1992 tatsächlich vorlag). So kann es laufen, wenn bei den Beteiligten wirklich guter Wille vorhanden ist. Herzlichen Dank, Herr Lenski!

… und verschafft uns eine neue Hausbank

Das Flüchtlingsprojekt sollte am 1.4.1991 starten, also musste der Ausbau bis dahin weitestgehend erledigt sein. Den Helaba-Kredit erhielten wir aber erst zum 1.7.91. Notwendig war also eine Zwischenfinanzierung. Wieder war es Herr Lenski, der Rat wusste und den Kontakt zu Rainer Daum herstellte, dem Frankfurter Filialleiter der evangelischen Kreditgenossenschaft e.G. (EKK). Die übernahm die Zwischenfinanzierung und wurde – Wunder über Wunder – im weiteren Verlauf unsere neue (eigentlich überhaupt die erste) Hausbank.

Projektverlauf

Wir konnten tatsächlich wie geplant zum 1.4. mit den ersten 20 Bewohnern starten und das Projekt später in einem weiteren Ausbauschritt auf 32 Personen erweitern. Dafür wurde mit weiteren 400.000 DM das Dachgeschoss des Mühlengebäudes ausgebaut, diesmal direkt durch die EKK finanziert. Einige unserer idealistischen Vorstellungen konnten wir – vor allem wegen der auf ein Jahr begrenzten Wohndauer unser ‚Heimbewohner‘ – nicht realisieren, die wesentlichen Teile (z.B. die vorwiegende Verwendung der Räume für die schwierigste Gruppe: mehrköpfige Familien) funktionierten aber in der Zusammenarbeit mit Frankfurt reibungslos. Dies wurde deutlich schwieriger, nachdem Rot-Grün in Frankfiurt 1995 scheiterte …

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